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Kopflos 8. Juni 2020

Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie jeden Montag aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Schnupfen, Niesen und Panik.

Meine Redaktionsfreundin meint, dass mein letzter Text mit dem Titel «Freude herrscht» eigentlich ein schöner Abschluss für die ursprünglich auf die Lockdown-Wochen begrenzten Notizen wäre. Stimmt. Er strahlt doch wieder Lebensfreude und eine gehörige Portion Zuversicht aus. Mit Grund: Die Lockerungen geben einem schon fast wieder das Gefühl von Normalität. Die täglichen Neuinfektionen bewegen sich seit Wochen auf tiefem Niveau. Und dass die Reproduktionszahl – die Anzahl Personen, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt – wieder über 1 steige, sei bei diesen tiefen Fallzahlen kein Grund zur Besorgnis – sagen die Experten.

Trotz dieser guten Nachrichten: Corona ist immer noch ein Thema. In der Familie, im Freundes- und Kollegenkreis wird nach wie vor darüber diskutiert und debattiert. In die Alltagsplanung wird Corona einbezogen. Corona dominiert die Frage, wen man wann, wie und wo wieder treffen darf, kann und will. Corona ist präsent, Corona ist allgegenwärtig. Keine Zeitung, kein Fernsehsender, keine Begegnung ohne Corona.

Eigentlich betrachte ich mich als eine nüchtern und pragmatisch denkende Zeitgenossin. Deshalb ist es mir auch ein bisschen peinlich, den folgenden Abschnitt zu schreiben: Corona holte mich ein. Es war an einem der letzten feucht-kalten Tage. Beim Hundespaziergang in der Frühe fiel leichter Regen. Meine Haare waren nass und die Kleider klamm, als ich nach einer Stunde wieder zu Hause war. Mit einem warmen Kaffee kehrten die Lebensgeister zurück. Gegen Mittag musste ich niesen, mehrmals. Die Nase lief. Am Nachmittag begann ich zu husten. Ein trockener Husten. Ich nahm ein warmes Bad, machte mir einen Erkältungstee und fühlte mich schon besser.

Doch plötzlich – ich sitze im roten Sessel und lese in meinem Krimi – überfällt es mich siedend heiss: Was, wenn es Corona ist? Werde ich krank; sterbe ich? Wo habe ich das Virus aufgelesen? Wem habe ich es bereits weitergegeben? Fieberhaft klaube ich die Begegnungen der letzten Tage zusammen: Es sind mehrere, es sind zu viele. Spüre ich nicht bereits, wie mir das Atmen schwerer fällt? Kopflos schnelle ich vom Sessel auf, öffne die Haustür, höre den Regen rauschen. Mein Pulsschlag beruhigt sich, vernünftige Gedanken kehren zurück. Die Panik hat wahrscheinlich weniger als eine Minute gedauert. Doch ich weiss: So lange mich die Angst so unverhofft anfallen und dermassen durcheinanderbringen kann, ist Corona nicht ausgestanden.

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Beitrag vom 08.06.2020
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin

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