© Annette Boutellier

Eine Kultur des humanen Alterns

Rosmarie Meier ist Soziologin und ehemalige Leiterin des Städtischen Alterszentrums Bürgerasyl-Pfrundhaus in Zürich. Sie plädiert für eine Gesellschaft, in der alle Bevölkerungsgruppen ihren Platz haben.

Gibt es eine Gemeinsamkeit, die hundertjährige Menschen auszeichnet?
Im Gegenteil – die Unterschiede werden mit zunehmendem Alter eher grösser. Die Bandbreite reicht von sehr pflegebedürftigen, demenzkranken Menschen bis hin zu solchen, denen man ihr hohes Alter weder körperlich noch geistig anmerkt. Auch ihre Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich: Die einen nehmen gern an verschiedensten Aktivitäten teil, andere suchen Rückzugsmöglichkeiten. Einmal sagte mir eine sehr alte Bewohnerin, sie benötige einfach viel Zeit zum Nachdenken über ihr langes Leben. Was vielen alten Menschen gemeinsam ist: Sie werden zunehmend verletzlich, verfügen aber auch oft über wachsende emotionale und geistige Ressourcen. Ich erlebte bei vielen hochaltrigen Menschen eine grosse Zufriedenheit und Heiterkeit – trotz zunehmender Gebresten.

Wie erklären Sie sich das?
Die altersbedingten Einschränkungen entwickeln sich langsam. Man gewöhnt sich daran, dass die Kraft nachlässt, dass man langsamer wird, die Sinne nachlassen und der Radius kleiner wird. Ich habe oft eine erstaunliche psychische Widerstandskraft beobachtet. Viele alte Menschen entwickeln die Gabe, sich an kleinen Dingen zu freuen: an einer Blume, an Musik, an Beziehungen … Sie schauen oft auch dankbar auf ihr langes Leben zurück und realisieren, wie reich es war und wie viel sie geleistet haben. Sie mussten schmerzlich lernen, mit Verlusten und Abschied umzugehen. Das hilft vielleicht, Einschränkungen besser zu akzeptieren.

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