© Gerry Ebner

«Ich höre auf meine innere Stimme»

Mit Pop, Chanson und Schlager begeisterte es in den Siebzigerjahren das Publikum. Vier Mal nahm es am Eurovision Song Contest teil. Das Trio Peter, Sue & Marc galt als ABBA der Schweiz. Seit dreissig Jahren geht Susan Schell ihren eigenen Weg. 

Text: Usch Vollenwyder

Am 6. April feierten Sie Ihren 70. Geburtstag – ein runder Geburtstag zu Coronazeiten. Wie war Ihr Fest?

Das geplante Fest wurde abgesagt. Stattdessen lud ich nacheinander fünf mir nahestehende Menschen ein. Der erste Besuch kam um halb zehn Uhr mit Gipfeli zum Kaffee, der nächste traf um elf Uhr ein, und um 13 Uhr fuhr eine Freundin mit dem Mittagessen vor. Um 15 und um 17 Uhr standen meine nächsten Besuche vor der Tür. Mit jedem meiner Gäste feierte ich meinen Geburtstag auf meiner Terrasse mit Blick auf den Säntis. Es war perfekt.

Abgesehen vom Geburtstag: Wie beeinflussten die bundesrätlichen Massnahmen Ihren Alltag?

Ich war überrascht, wie sehr sich die verordnete Entschleunigung auch auf mein Inneres übertrug. Langweilig war es mir nie! Zudem fühlte ich mich total wohl mit meiner leeren Agenda.

Vor fünfzig Jahren war es anders. Da standen Sie mit dem Trio Peter, Sue & Marc im Rampenlicht. Mit welchem Gefühl?

Ich erinnere mich an einen Auftritt, als ich etwa 20 Jahre alt war. Ich stand mit einem solchen Glücksgefühl auf der Bühne, dass ich den Hut hätte aufschmeissen mögen. Ich wusste: «Das bin ich. Das ist mein Innerstes.» Singen konnte ich; beim Singen konnte ich etwas von meinem Besten geben.

Sue Schell im Interview mit der Zeitlupe.
© Gerry Ebner

Wie kamen Sie überhaupt zum Singen?

Singen ist ein Talent, das ich von meinen Vorfahren väterlicher-und mütterlicherseits mitbekommen habe – ohne dass ich je dafür kämpfen musste. Ich machte auch später keine Gesangsausbildung. Meine Ballettlehrerin, eine Freundin meiner Mutter, entdeckte meine Stimme und liess mich bei ihren Aufführungen vor Publikum singen. Mein Vater war sehr stolz auf mich und meinte immer, ich würde noch besser singen als Nana Mouskouri.

Sie kamen als kleines Mädchen von den USA in die Schweiz zurück. Wie erlebten Sie diesen Umzug?

Ich verbrachte meine ersten Lebensjahre im New Yorker Stadtteil Harlem. Mein Vater war wegen seiner jüdischen Wurzeln 1939 in die USA emigriert und studierte Medizin. Dass er danach in den Koreakrieg gezogen ist, hat ihm meine Mutter nie verziehen. Als ich acht Jahre alt war, kehrte sie mit mir und meinem jüngeren Bruder nach Bern zurück. In dieser neuen Umgebung fühlte ich mich sehr verloren. Ich hatte wenig Selbstvertrauen. Aber ich entdeckte, dass ich singen kann! Beim Singen war ich nicht mehr das verwirrte, ängstliche Wesen, das nicht wusste, wohin es gehörte.

Wer hat das Trio Peter, Sue & Marc schliesslich zusammengebracht?

Das Schicksal. Ich traf Marcel Dietrich an einem Fest, als er am Klavier den Song «Words» von den Bee Gees intonierte. Ich stimmte ein und er meinte: «Das tönt nicht schlecht.» Wir tauschten die Adressen aus, trafen uns schliesslich mit Peter Reber und waren selber erstaunt, wie gut wir zusammen musizieren konnten. Als Peter, Sue & Marc wurden wir immer erfolgreicher, schliesslich hängten wir unsere Berufe – ich arbeitete nach meiner Ausbildung an der Töchterhandelsschule Bern als Sekretärin – an den Nagel und gründeten unsere eigene Firma.

Welches waren die Höhepunkte Ihrer Karriere?

Dazu zähle ich unsere Reisen nach Japan; bei der dritten Reise durften wir als Stargäste vor einem begeisterten Publikum auftreten. Dazu hatten wir sogar zwei unserer Lieder auf Japanisch übersetzen lassen, und Marc hielt eine kurze Ansprache – ebenfalls auf Japanisch. Zuhörerinnen und Zuhörer sagten nachher, er habe eine Stimme wie ihr damaliger Präsident … Ein weiterer Höhepunkt waren unsere eigenen Fernsehsendungen, in die wir musikalische Gäste einladen konnten. Auch der vierte Platz mit «Io senza te» am Eurovision Song Contest 1981 war ein tolles und irgendwie verrücktes Erlebnis – im Wissen, dass wir ein halbes Jahr später unsere Karriere beenden würden.

Eigentlich wäre das Musical «Io senza te» mit Liedern Ihres Trios dieses Jahr auf der Thuner Seebühne aufgeführt worden. Wegen der Corona-Pandemie wurde es auf nächstes Jahr verschoben. Wie war es für Sie, in diesem Musical Ihren Liedern wieder zu begegnen?

Ich war sehr skeptisch, als das Musical von Domenico Blass und Stefan Huber 2015 in Zürich zum ersten Mal auf die Bühne kam. Und wurde eines Besseren belehrt! Schliesslich war ich so begeistert von der Inszenierung, den singenden und tanzenden Schauspielerinnen und Schauspielern, der Musik, dem Bühnenbild und dem Witz der Geschichte, dass ich es 13 Mal gesehen habe! Die Songs, die wir damals gesungen haben, sind zeitlos und haben eine eigene, frische Energie. Das spürt man jetzt auch im Musical.

«Ich mache nicht mehr das, was ich meine, tun zu müssen.»

Trotzdem haben sich Peter, Sue & Marc 1981 getrennt …

Es war Zeit für etwas Neues. Unser Trio war mehr und mehr zum Geschäft geworden; da blieben auch Stresssituationen und Auseinandersetzungen nicht aus. Zudem waren wir drei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ich freute mich sehr darauf, nun meinen eigenen Weg zu gehen – auch wenn dieser dann doch nicht so einfach war.

Warum nicht?

Ich war auf der Suche nach meinem persönlichen musikalischen Ausdruck und hatte dazu eigene Vorstellungen. Deshalb war es für Produzenten nicht einfach, mit mir zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig lag mir der Promi-Status nicht. Ich hatte Mühe, allein im Zentrum zu stehen und Interviews und Statements zu geben. Im Trio war ich immer ein bisschen geschützt gewesen. Irgendwann fragte ich mich: «Ist das jetzt dein Leben? Willst du so weitermachen?» Meine Gedanken begannen sich endlos zu drehen. Ich musste einen Weg zurück zur Ruhe finden.

Portrait von Sue Schell
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Wie sah dieser Weg aus?

Ich nahm mir eine Auszeit und begann zu meditieren. Dabei konnte ich mich lösen vom Druck, Erfolg haben zu müssen. Ich begann Yoga zu praktizieren und lernte die buddhistische Lebensweise kennen. Dieser Prozess war für mich eine heilende Erfahrung. Ich spürte sehr genau, dass ich wegkommen musste von der Hektik des Showbusiness. Wenn ich heute auf Youtube einen Auftritt des damaligen Trios anschaue, muss ich immer lächeln und bin berührt von der herzigen, jungen Frau, die ich damals war. Aber diese Person bin ich nicht mehr. Und trotzdem: Ohne meine zwanzigjährige Erfahrung im Showbusiness wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.

Wie sieht dieser Mensch heute aus?

Dieser Mensch fühlt sich tiefer und immer wieder neu mit dem Leben verbunden. Ich mache nicht mehr das, was ich meine, tun zu müssen. Ich höre auf meine innere Stimme. Mein Bewusstsein und die Wahrnehmung haben sich verändert und verfeinert. Heute vertraue ich darauf, dass ich – auch wenn ich mich öffentlich engagiere – immer wieder zu mir selber finde. Ich bin unendlich dankbar, dass ich diesen Weg entdeckt habe.

Eigentlich wären Sie seit sechs Jahren pensioniert. Wie sieht Ihr Alltag aus?

Heute habe ich die Balance zwischen meiner inneren und der äusseren Welt gefunden. Ich nehme mir genug Zeit für mich. Hin und wieder trete ich allein oder gemeinsam mit meiner Musikpartnerin Jutta Wurm an verschiedenen Orten auf. Zusammen haben wir auch die CD «Breathe, you are alive – Songs for the inner smile» aufgenommen. Sporadisch gebe ich Workshops, in denen ich mit Stimme und Klang arbeite. Ich mache auch in einer Improvisationstheater-Gruppe 60plus mit; dazu sage ich jeweils: «Beim Improvisieren lernen wir, uns mutig zu exponieren und gelassen zu scheitern.» Dieses Motto passt auch ganz gut fürs Leben!

Sie singen zudem mit alten Menschen in Altersheimen und begleiten sterbende Menschen im stationären Hospiz in St. Gallen. Wie kam es dazu?

Vor etwa 30 Jahren hatte ich während einer geführten Meditation zum Thema Berufung eine Vision: Eine Gestalt überreichte mir einen Ring, darin stand der Schriftzug: «You» – also «du». Die Gestalt berührte mich an der Schulter und sagte «go». Im nächsten Augenblick sah ich mich am Bett eines kranken Menschen sitzen und singen. Zu dieser Zeit war mir noch nie der Gedanke an ein solches Engagement gekommen.

Woher nehmen Sie die Kraft für diese Aufgabe?

Ich denke, dass meine früheren Krisen letztlich zu meinen Kraftquellen geworden sind. Zudem kann ich dank meiner jahrzehntelangen Meditationspraxis auch in schwierigen Situationen gut zuhören oder einfach nur da sein.

Nach Ihrer Solokarriere verbrachten Sie auch einige Zeit in einem buddhistischen Kloster in Sri Lanka und lebten sechs Jahre in einer spirituellen Wohngemeinschaft in Berlin. Wie kamen Sie schliesslich ins Appenzellerland?

In Berlin lernte ich dank einer Besucherin das Bildungshaus «Fernblick» hier in Teufen kennen, das damals zum Basler Katharina-Werk gehörte. Durch diese Organisation engagierte ich mich in der Friedensarbeit und war in Bosnien, im Kosovo, in Jerusalem und in einem Slum auf den Philippinen tätig. Musik, Stimme und Klänge berühren Körper und Seele und ermöglichen Betroffenen Begegnungen auf emotionaler Ebene. Schliesslich blieb ich in Teufen wohnen – jetzt schon seit mehr als zwanzig Jahren.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Zukunft?

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, bin ich überzeugt: Alles, was geschieht, ist von allem Anfang an in uns angelegt. Ich fühle mich geführt. Das schenkt mir ein tiefes Vertrauen – in guten und in schwierigen Zeiten. Ich bin neugierig auf die Zukunft und achtsam im Hier und Jetzt. Ich habe auch keine Angst vor irgendwelchen Beschwerden. Ich bin gespannt, wie es mit 80 und noch älter sein wird. Ich hoffe und übe schon jetzt, dass ich dereinst mit einem Lächeln gehen kann.

Wohin?

Ich habe mir schon viele Gedanken darüber gemacht. Heute würde ich sagen: Ins göttliche Nichts … Ich bin nicht religiös erzogen worden; mein jüdischer Vater war erklärter Atheist. Erst mit meiner eigenen geistigen und spirituellen Suche näherte ich mich diesem Unendlichen an, das hinter allem steht. Allerdings glaube ich nicht an einen persönlichen Gott, der von aussen her auf mich einwirkt. Trotzdem spreche ich ihn an und spüre beim Bibelwort «Ich rufe dich bei deinem Namen» eine grosse Resonanz. Ich weiss, das scheint widersprüchlich – in meinem Herzen ist es das aber nicht. ❋

© Gerry Ebner

Von der grossen Bühne hin zur inneren Ruhe

Susan Schell, geboren am 6. April 1950 in New York, kam nach der Scheidung ihrer Eltern 1958 nach Bern. Sie absolvierte die Töchterhandelsschule Bern und arbeitete als Sekretärin, bis das Trio Peter, Sue & Marc 1976 seine Profi-Karriere begann. Das Trio feierte im In-und Ausland grosse Erfolge, bis es sich Ende 1981 auflöste. Susan Schell arbeitete weitere acht Jahre als freischaffende Profi-Sängerin. 1989 zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sie wandte sich der buddhistischen Lehre zu und engagierte sich in Friedensprojekten. Musikalisch fand sie ihren eigenen Ausdruck und gibt entsprechende Workshops. Susan Schell wohnt in Teufen AR.

Beitrag vom 15.06.2020